Dienstag, 17. August 2010

Geheimnisse des Aspekts

Wer schon einmal eine slawische Sprache gelernt hat, weiß, dass einem dabei der "Aspekt" des Verbums als zutiefst mysteriöses, eigentlich unverstehbares Arkanum präsentiert wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem "Abstraktionsprinzip", mit dem Studierende des deutschen Zivilrechts konfrontiert werden.
Die Lehrenden bauen eine Art prickelnder Erwartungshaltung auf, und das zu Recht!

In diesem Blog will ich mich aber nur mit sprachlichen Phänomenen befassen, deshalb ein paar Anmerkungen zum Aspekt, der mich deshalb so fasziniert, weil diese Verbalkategorie im Deutschen wohl nicht so systematisiert ist wie in den slawischen Sprachen oder auch im Ungarischen. Als Folge der Beschäftigung mit diesen Sprachen gewinnt man dann aber umgekehrt auch bisher ungeahnte Erkenntnisse über das Deutsche. Ich habe vor kurzem irgendwo ein Zitat Goethes gelesen, worin er sinngemäß gesagt hat, dass man seine Muttersprache nicht vollständig erfassen kann, solange man keine Fremdsprachen befaßt. Das kann ich nur bestätigen.

Nun aber zu einem ungarischen Beispiel für ein Aspektpaar, dessen Übersetzung ins Deutsche keinesfalls schematisch erfolgen kann:

éhezik (unvollendet) und megéhezik (vollendet)

Beide bedeuten die Empfindung von Hunger.
Das unvollendete Verb bezeichnet dabei einen Zustand oder fast schon eine Eigenschaft des Subjekts, während das vollendete Verb den punktuellen Eintritt dieses Zustandes ausdrückt.
éhezik wäre also mit hungern, Hunger leiden, Hunger haben o.ä. zu übersetzen, megéhezik wäre dann Hunger bekommen.
Es existiert also kein deutsches Verb, das den Eintritt des Hungergefühls bezeichnen würde, man muß sich daher mit einer Kombination des Substantivs Hunger mit einer Art Phasenverb behelfen. Ich versuche mir vorzustellen, wie ein entsprechendes Verb im Deutschen lauten müßte ... "erhungern" vielleicht.

Jetzt hätte ich noch ein russisches Aspektpaar, das auch eine Empfindung, oder besser gesagt, das Empfinden im allgemeinen ausdrückt, und zwar

чувствовать (unvollendet; ausgesprochen etwa "tschustwawat") und почувствовать (vollendet; ausgesprochen etwa "patschustwawat")

Das unvollendete Verb läßt sich einigermaßen problemlos mit empfinden, fühlen, spüren wiedergeben. Der Aspekt seines vollendeten Partners dagegen entzieht sich der deutschen Sprache ein bißchen. Man könnte vielleicht sagen sich bewußt werden, plötzlich zu fühlen beginnen, aber ich habe, um beim Thema zu bleiben, das "Gefühl", dass diese Formulierungen schon wieder ein bißchen über den russischen Sinn hinausgehen, weshalb auch почувствовать, zum Beispiel in Romanen, meistens einfach nur mit fühlen oder denken übersetzt wird.

Das war´s für heute. Vielen Dank für Ihr Interesse!

Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de

Montag, 5. April 2010

Der Aspekt im Deutschen und Ungarischen

Der Aspekt ist eine verbale Kategorie, die sehr ausgeprägt in den slawischen Sprachen zu finden ist, aber durchaus auch in anderen Sprachen vorkommt, so auch im Deutschen und Ungarischen.

Betrachten wir den Satz "Reggeli után újságot szoktunk olvasni" (Quelle: Wenzel, Haik, Langenscheidts Praktisches Lehrbuch Ungarisch, Berlin und München 1998, S.179).

Ins Deutsche läßt sich dieser Satz folgendermaßen übersetzen: "Nach dem Frühstück pflegen wir Zeitung zu lesen."

Der imperfektive Aspekt, d.h. der auf den Vorgang, den Verlauf, nicht aber auf das Ergebnis der Handlung, gerichtete Blickwinkel, tritt in beiden Sprachen deutlich hervor.
Sowohl im Deutschen als auch im Ungarischen steht das Wort "Zeitung" bzw. "újság(ot)" ohne Artikel. Weder der bestimmte noch der unbestimmte Artikel sind vorhanden.
Bei dem ungarischen Satz kommt außerdem noch hinzu, dass das Verb "olvasni", das "lesen" bedeutet, kein Verbalpräfix enthält.

Zum Vergleich könnte man jetzt überlegen, wie der perfektive Aspekt, also die (angestrebte) Vollendung der Handlung auszudrücken wäre.
Im Deutschen würde es wohl genügen zu sagen "die Zeitung lesen". Der bestimmte Artikel drückt zumindest nach meinem Sprachgefühl die intendierte Vollendung der Handlung hinreichend aus.
Im Ungarischen müßte meines Wissens aber neben dem bestimmten Artikel außerdem noch das Verbalpräfix "el" hinzugefügt werden, womit sich der Ausdruck "elolvasni az újságot" ergeben würde.

Vielen Dank fürs Lesen!
Für die Richtigkeit meiner Ausführungen kann ich aber leider keinerlei Garantie übernehmen.

Bis zum nächsten Mal!

Autor: Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de

Freitag, 8. Januar 2010

Allen ein gutes neues Jahr!

"Ich kaufe keine Tiefkühlprodukte, nicht, weil sie mir nicht schmecken, sondern weil ich keine Kühltruhe habe."

Auf den ersten Blick erscheint dieser Satz grammatikalisch und vom Verständnis her völlig unproblematisch, nicht wahr?
Solche Äußerungen hört, liest, sagt und schreibt man täglich, ohne näher darüber nachzudenken.

Gleichwohl enthält er eine sprachliche Falle, und diese lauert im ersten Kausalsatz.
Ein sehr spitzfindiger Gesprächspartner oder Leser könnte den Satz nämlich so auslegen, dass der Autor der Äußerung Tiefkühlprodukte zwar nicht mag, der Grund für die Konsumverweigerung aber nicht darin, sondern vielmehr in der fehlenden Kühltruhe liegt.
Ein solches Verständnis ist auch nicht lebensfremd, denn es wäre denkbar, dass die oder der Betreffende, bestünde eine Aufbewahrungsmöglichkeit, solche Nahrungsmittel trotz des kulinarischen Widerwillens konsumieren würde, etwa, weil sie einfach und zeitsparend zuzubereiten oder preisgünstig sind.
Von der alltäglichen Sprachpraxis her gesehen ist der Satz subjektiv aber wohl meistens dahingehend gemeint, dass dem Sprecher bzw. der Sprecherin eingefrorene Speisen durchaus schmecken und der Hinderungsgrund, sie zu kaufen, nur in der fehlenden Kühltruhe zu sehen ist.
Um das grammatikalisch einwandfrei auszudrücken, müßte man den Satz so formulieren:

"Ich kaufe keine Tiefkühlprodukte, nicht (etwa), weil sie mir nicht schmecken würden, sondern weil ich keine Kühltruhe habe."

Zugegeben, in alltäglichen, eher banalen Situationen wie der beschriebenen spielen solche Feinheiten zumeist keine Rolle.

In einem juristischen oder politischen Kontext, zum Beispiel bei der Formulierung von Verträgen sowie Gesetzen oder in Debatten können derlei sprachliche Unachtsamkeiten allerdings zu unerwünschten, wenn nicht sogar unerträglichen Folgen führen.
Vorsicht ist auf jeden Fall besser als nachträgliches Bedauern!

In diesem Sinne alles Gute wünscht Ihnen

Rechtsanwalt Sven Ringhof www.prilaro.de